Lässt sich Corona weggurgeln?

Artikel erschienen in der ZEIT ONLINE (Link am Ende des Artikels)

Corona weggurgeln

Forscher entwickeln Nasensprays, die Coronaviren abtöten sollen. Andere raten zum Mundspülen. Kann das wirklich helfen? Die wichtigsten Antworten im Überblick.

Von Anne Baum, 15. Mai 2021

Einen kleinen Becher Mundwasser leeren, einmal kurz das Nasenspray hochziehen ‒ und schon verschwindet jede Spur vom Coronavirus, das sich vielleicht in der Nase, dem Mund oder Rachen eingenistet hat? Immer häufiger hört man von Mitteln, die versprechen, das Virus auf den Schleimhäuten neutralisieren zu können. Etwa in Israel, wo ein Nasenspray in die Massenproduktion geht, und auch hier in Deutschland, wo Forschende verschiedene Mundwasser untersuchen. Aber ist es wirklich so simpel? Was sagt die Wissenschaft über die Wirksamkeit solcher Nasensprays und Mundspülungen? Und sollten sie tatsächlich helfen: Ersetzen sie dann bald das Maskentragen? ZEIT ONLINE liefert Antworten auf die wichtigsten Fragen.

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In Zeiten der Corona-Pandemie ist es zum Allgemeinwissen geworden: Das Coronavirus wird über Aerosole oder kleine Tröpfchen übertragen. Es fällt über Mund und Nase in den Körper ein, vervielfältigt sich, wird ausgeatmet und infiziert so den nächsten. Es scheint also naheliegend, mit der Bekämpfung des Virus auch auf den Schleimhäuten von Mund und Nase anzusetzen. Einige Mittel, die momentan auf dem Markt verfügbar sind, sollen die Viruslast im Mund, Rachen oder in der Nase verringern. Die Idee: Wenn die Menge der vorhandenen Viren geringer ist, so ist auch die Wahrscheinlichkeit geringer, andere Menschen beim Sprechen, Lachen, oder Singen anzustecken.

Ob die Mittel auch beim Anwender selbst eine Infektion vermeiden können, ist allerdings noch unklar. Denn dafür müsste man das Nasenspray oder die Mundspülung direkt einsetzen, nachdem man den Viren ausgesetzt war, sagt der Bonner Infektiologe und Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, Peter Walger. Also beispielsweise gleich nachdem man in der U-Bahn angehustet wurde. Lässt man zu viel Zeit verstreichen, können sich die Viren schon in den Zellen einnisten und sich von dort verbreiten. Dann können das Nasenspray und die Mundspülung nichts mehr ausrichten.

Das bedeutet: Man selbst schützt sich mit Mundspülungen und Nasensprays wohl eher nicht vor einer Infektion, dafür aber möglicherweise sein Gegenüber vor einer Ansteckung. Und das wahrscheinlich auch nur für einen kurzen Zeitraum. „Eine halbe bis ganze Stunde“ sei die Viruslast nach dem Gurgeln oder Sprühen reduziert, schätzt Peter Walger. Danach sei zu vermuten, dass aus den Schleimhäuten wieder genug Viren freigesetzt wurden und sich die Viruslast wieder auf demselben Niveau befindet wie vor dem Gurgeln. Dauerhaft befreien Nasensprays und Spüllösungen also nicht vom Coronavirus.

Welche Mundspülungen könnten gegen Sars-CoV-2 wirken?

Es gibt einige Studien, die dieser Frage nachgegangen sind. Zum Beispiel die eines deutschen Forscherteams (Journal of Infectious Diseases: Meister et al., 2020). Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermischten handelsübliche Mundspülungen aus Drogeriemärkten und Apotheken mit Viruspartikeln und einer speichelähnlichen Substanz. Um Gurgeln zu imitieren, schüttelten die Forschenden das Gemisch für 30 Sekunden und untersuchten später die Anzahl der Coronaviren.

Das Ergebnis: Die Mundspülungen reduzierten die Zahl der Sars-CoV-2-Viren deutlich. Bei den drei Spülungen Dequonal, Iso-Betadine und Listerine Cool Mint waren nach 30-sekündiger Anwendung sogar gar keine Coronaviren mehr nachweisbar. Auch fanden die Forscher heraus, dass Mundspülungen mit ätherischen Ölen besser wirken als Mundwasser auf Basis von etwa Wasserstoffperoxid.

Ein Literaturüberblick, der die Ergebnisse von Laborstudien zu dem Thema zusammenfasst, gibt ebenfalls Anlass zur Hoffnung: Einzelne Bestandteile von Mundspülungen könnten einen Einfluss auf die Viruslast und damit die Infektiösität haben (Journal of Dental Research: Carrera et al, 2020). Allerdings ist die Datenlage bisher äußerst dünn. Und so fordern Wissenschaftler und Forscherinnen vor allem mehr klinische Studien, in denen die Wirkung der Mundwasser nicht im Labor, sondern an echten Menschen untersucht wird (medRxiv: Hernández-Vásquez et al.,2021).

Einige wenige davon gibt es bereits. In einer ersten klinischen Studie ließ ein Forscherteam aus Singapur sechszehn Covid-19-positive Probanden mit handelsüblichen Mundwassern gurgeln und stellte fest, dass sich bei Mundwassern mit den Wirkstoffen Povidone-Iodinen und Cetylpyridiniuchloriden die Virusanzahl reduzierte (Infection: Seneviratne et al., 2020). In einer noch nicht begutachtete Studie aus Kuala Lumpur kamen Forschende zu dem Schluss, dass coronapositive Personen schneller keine Viruslast mehr in sich tragen, wenn sie mit einer PVP-Iod-Lösung (verwendet wurde die Tinktur Betadine) oder mit ätherischen Ölen (verwendet wurde die Mundspülung Listerine Original) gurgeln (medRxiv: Mohamed et al., 2020). Beide klinische Studien beruhen allerdings auf einer geringen Probandenzahl und lassen deswegen noch keine eindeutigen Aussagen zur Wirksamkeit von Mundspülungen zu.

Das betont auch Andreas Podbielski, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene an der Universitätsmedizin Rostock. Auch wenn es etablierte Antiseptika gebe, die gegen Bakterien und andere Viren wirken, „steht der klinische Beweis noch aus“, sagt er. Ähnlich sieht es Fabian Cieplik, Oberarzt an der Zahnklinik der Universität Regensburg. Er ist wegen der fehlenden klinischen Studien skeptisch und verweist noch einmal darauf, dass unklar sei, wie lange die Spülungen wirkten. Selbst wenn man eine gut wirksame Substanz gefunden hätte, sei aktuell nicht klar, wie lange es dauert, bis die Viruslast wieder groß genug ist, um andere anzustecken.
Um solche Fragen zu beantworten, braucht es umfassendere Studien. In San Francisco startet gerade eine klinische Studie in größerem Umfang, Ergebnisse gibt es aber frühestens Ende des Jahres.

Welche Nasensprays könnten gegen Sars-CoV-2 wirken?

Ende März wurde ein antivirales Nasenspray namens Enovid in Israel zugelassen. In einer Pressemitteilung wirbt die kanadische Herstellerfirma SaNOtize mit einer hohen Wirkkraft gegen Covid-19. Als Wirkstoff verwendet das Nasenspray Stickstoffmonoxid. Es soll die oberen Atemwege reinigen und die Viren abtöten. Dadurch soll verhindert werden, dass die Viren sich vermehren, in die Lunge wandern und dort Schaden anrichten.

Das Spray verringere die Konzentration von Coronaviren auf der Nasenschleimhaut um 99 Prozent, heißt es von Unternehmensseite. Die Herstellerfirma beruft sich dabei auf eine Studie aus Kanada und Großbritannien. Für die sollen 79 infizierte Personen mit dem Nasenspray behandelt worden sein. Binnen 72 Stunden soll kaum noch Virus in ihren Nasen nachweisbar gewesen sein. Allerdings wurde die Studie bisher nirgends veröffentlicht und so bleibt unter anderem unklar, wie die Anzahl der Viren gemessen wurde und wie oft das Spray verwendet wurde.

Neben der kanadischen Firma SaNOtize entwickeln auch Forscher und Forscherinnen der Columbia University ein Nasenspray, das auf Lipopeptiden basiert (bioRXiv: de Vries et al.,2020, noch nicht begutachtet). Das Spray soll folgendermaßen funktionieren: Bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 verschmilzt die Membran der Wirtszelle mit dem Virus. Die Lipopeptide in dem Spray, eine Verbindung aus Peptiden, Eiweißen und Fett, sollen diese Verschmelzung von Wirtszelle und Virus verhindern und somit prophylaktisch wirken. Zwar gibt es erste vielversprechende Ergebnisse. Diese beruhen bisher aber nur auf Versuchen mit Frettchen, einem gängigen Sars-CoV-2-Tiermodell.

Ein weiteres Nasenspray mit Carragelose, einem Wirkstoff aus Rotalgen, soll durch eine Art Schutzfilm ein Andocken der Viren in der Schleimhaut verhindern. Studien im Labor zeigten, dass Carragelose Coronaviren inaktiviert (PLOSONE: Schubert et al., 2021). Auch bei einer Studie mit Krankenhauspersonal erkrankten weniger Personen an Covid-19 als in der Placebogruppe (Figuera et al, 2021). Aber auch hier sind die Ergebnisse noch sehr vorläufig.

Die Uniklinik Köln startet gerade einen klinischen Versuch mit einem Heuschnupfenmittel. Der Wirkstoff Azelastin ist ein Antihistaminikum und soll die Virenanzahl im Rachenraum reduzieren. Doch selbst bei bewiesenem Nutzen gegen Covid-19 wird auch dieses Mittel vermutlich nicht für den täglichen Gebrauch geeignet sein. Viele Antihistaminika haben Nebenwirkungen und führen etwa zu Müdigkeit.

Neben der Prophylaxe wird auch an Sprays zur Behandlung von Covid-19 geforscht. Das Asthmaspray Budesonid etwa verhindert ersten Studienergebnissen zufolge schwere Verläufe, wenn es frühzeitig nach Symptombeginn genommen wird (The Lancet: Ramakrishnan et al., 2021). Allerdings wurde die Studie ohne Placebogruppe und nur mit 146 Probanden durchgeführt.

Ersetzen Mundspülungen und Nasensprays das Masketragen?

Nein. Selbst wenn sich herausstellt, dass die Mittel erfolgreich die Übertragbarkeit des Coronavirus reduzieren, sind Nasensprays und Mundspülungen kein Ersatz für den Mund-Nasen-Schutz, betonen Experten wie Peter Walger. Sie könnten höchstens ein Zusatz zu den bisherigen Schutzmaßnahmen sein.

Also ab sofort täglich gurgeln und das Nasenspray in der Tasche haben?

Geht es nach der Gesellschaft für Deutsche Krankenhaushygiene (DGKH), sollte viel mehr gegurgelt und gesprüht werden. Im Gespräch mit ZEIT ONLINE sagt der Intensivmediziner, Infektiologe und Sprecher der DGKH, Peter Walger: „Wir empfehlen Gurgeln als zusätzliche, präventive Maßnahme gegen das Coronavirus.“ Insbesondere in Situationen, in denen man für kurze Zeit einen zusätzlichen Schutz braucht, könnten solche Mittel sinnvoll sein, sagt Walger ‒ also etwa vor dem Zahnarztbesuch, vor anderen medizinischen Eingriffen im Mund-Nasen-Rachen-Bereich und vor kurzen privaten Kontakten. In der Empfehlung zum viruziden Gurgeln schreibt die DGKH, dass schon die Befeuchtung der Schleimhäute durch Mundspülungen und Nasensprays positive Effekte zur Vorbeugung von Atemwegsinfektionen hat ‒ selbst, wenn die Mittel keine antiviralen Zusätze enthalten. Denn „gesunde, feuchte Schleimhäute wirken der Anhaftung von Viren entgegen und schützen so vor Infektionen“, sagt Walger.

Effektives Gurgeln funktioniere übrigens so, erklärt der Infektiologe: Man nimmt ein kleines Glas und füllt es mit rund 20 Milliliter der Mundspüllösung. Dann gurgelt man für etwa eine Minute und unterbricht jeweils vor dem Einatmen. Die DGKH empfiehlt herkömmliche Mundspüllösungen auf Basis ätherischer Öle oder Jodlösungen, die man in der Apotheke erhält. Auch Kochsalzlösungen oder grüner Tee seien wirksam.

Artikel © veröffentlicht in ZEIT ONLINE Anne Baum

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